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Projekt „Die Entwicklung rechtlicher Wiedergutmachungsinstrumente nach dem Holocaust als Lernprozess“

Erstmals untersucht ein Forschungsprojekt am Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen mit internationalen Kooperationspartnern die Entwicklung und Wirkungen des auf den Holocaust bezogenen Entschädigungsrechts und richtet ab August 2023 eine internationale Summer-School u.a. zur Etablierung eines akademischen Curriculums aus.



Das an der Professur für Öffentliches Recht und Völkerrecht der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen beheimatete Projekt „Die Entwicklung rechtlicher Wiedergutmachungsinstrumente nach dem Holocaust als Lernprozess“ nahm im September 2022, dem 70. Jubiläumsjahr des Luxemburger Abkommens, unter der Leitung von Prof. Dr. Thilo Marauhn seine Arbeit auf. Das Projekt wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht gefördert. Es untersucht im Rahmen einer 18-monatigen Laufzeit die nach 1945 entstandenen rechtlichen Rahmenbedingungen für die entschädigungsorientierte Aufarbeitung der Folgen der NS-Verbrechen. Dieses Vorhaben leistet einerseits einen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Prozess der Entwicklung politischer und unterschiedlicher rechtlicher Instrumente zur Bewältigung der Folgen des NS-Unrechtsregimes, indem es die wissenschaftliche Debatte dazu schärft. Zum anderen sollen die aus diesem Projekt gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse einen langfristigen, praktisch verwertbaren Beitrag für Politik und Gesellschaft leisten, indem diese aus den Projektergebnissen mögliche Optionen für zukünftige Praktiken der Vergangenheitsbewältigung generieren können. Nicht zuletzt gehört die Durchführung einer Summer School im Sommer 2023 zu den Kernelementen des Projekts, an der 25 mit Vollstipendien ausgestattete israelische, kolumbianische und deutsche Studierende teilnehmen werden. Die Studierenden werden sich in diesem Rahmen vom 27.08. bis 23.09.2023 jeweils zwei Wochen an der Reichmann-Universität in Herzliya, Israel, und an der JLU Gießen mit der rechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen aus der Perspektive der universitären Lehre auseinandersetzen und damit ein essentieller Bestandteil der Projektarbeit werden. Begleitet werden die Lehrveranstaltungen von Exkursionen zu themenrelevanten Einrichtungen. Auf diese Weise integriert das Projekt die aufgeworfenen Fragen unmittelbar in einen universitären Lehrplan. Neben der Wissensvermittlung um die mannigfaltigen Entschädigungsmechanismen verfolgt die Summer-School somit auch das übergeordnete Ziel, die ersten Projektergebnisse für ein akademisches Curriculum nutzbar zu machen. Die vom Projektteam konzipierten Lehrpläne werden Bildungseinrichtungen, insbesondere den Hochschulen, zugänglich gemacht. Das Projekt genießt damit Pilotcharakter.

Einen inhaltlichen Schwerpunkt setzt das Post-Holocaust-Remedies-Projekt auf Kernfragen des deutschen und internationalen Rechts und setzt sich dabei u.a. mit rechtlichen Begriffen sowie Prämissen kritisch auseinander. Hierbei kommt es auf eine systematische Gegenüberstellung und umfassende Darstellung sämtlicher Rechtsinstrumente, die auf (einfach)gesetzlicher Ebene, durch bi- bzw. multilaterale Übereinkünfte, aber auch in Form von Vereinbarungen mit privatrechtlichen Einzelakteuren wie der Jewish Claims-Conference entschädigungsrechtliche Wirkung entfalteten, an. Darüber hinaus werden einschlägige völkerrechtliche Instrumente in den Blick genommen. Entschädigungsorientierte und verwandte Rechtsinstrumente werden dabei einer geordneten Darstellung in Form einer öffentlich zugänglichen Datenbank zugeführt.

Auf der Grundlage der gesammelten und systematisierten Daten wird die Summer School durch einen interaktiven Austausch zwischen Studierenden und Dozenten aus einer interdisziplinären (aus einer rechtswissenschaftlichen, rechtsvergleichenden, historischen und Transitional Justice-) Perspektive die praktische Phase des Projekts einläuten, die im Sinne eines Lernprozesses nun zunehmend Vorschläge für mögliche Optimierungen für zukünftige rechtliche Vergangenheitsbewältigungsinstrumente in den Blick nehmen wird. Auch wird diese breitere Perspektive auf das einmalige historische Phänomen des Holocaust insbesondere durch die flankierende Beteiligung israelischer, deutscher und internationaler Institutionen gewährleistet.

Die sich hieraus ergebenden Erkenntnisse werden im Anschluss an die Summer-School der dritten tragenden Säule des Post-Holocaust-Remedies-Projekts, nämlich einer internationalen Abschlusskonferenz, zur Diskussion vorgelegt. Sie wird sich aus Wissenschaftlern, maßgeblichen Akteuren bei der praktischen Umsetzung von Entschädigungsinstrumenten, den Betroffenen sowie interessierten Gesellschaftskreisen zusammensetzen.

Das Projekt wird in jedem Projektstadium, insbesondere bei der kritischen Auseinandersetzung, stets die Perspektiven der Betroffenen entschädigungsrechtlicher Maßnahmen und der Opfer des NS-Unrechts einbeziehen – und zwar an prominenter Stelle und mit elementarer Rolle.